Ist Verzeihung nicht eine große Tugend?
Es sei mir verziehen 🙂 – wenn der folgende Text für Sie als Beschreibung eines Wortspiels erscheint. Wir befinden uns jedoch im Universum der Worte – so erhält das Gesagte denn sein Gewicht.
Zunächst sollte die generelle Bedeutung des Wortes “Verzeihung” in Augenschein genommen werden. Es meint:
„Du hast etwas falsch gemacht, (in größerem Rahmen: eine Sünde begangen). Das ist grundsätzlich sehr schlecht. Eigentlich ist das nicht zu akzeptieren. Weil ich jedoch so ein gutmütiger, gläubiger, vergeistigter, der Schöpfung nahestehender Mensch bin, verzeihe ich dir. Deine Schuld bleibt bestehen, doch wir wollen nicht mehr auf sie sehen.“
Was wäre diese Verzeihung vor der Schöpfung wert?
Wenn ich also jemandem generös verzeihe, halte ich ihn in der Schuld fest. Denn die Schuld, die Sünde, besteht ja weiterhin. Man hat lediglich ein graues Tüchlein darüber gelegt – das man im Übrigen zu jeder passenden Gelegenheit wieder lüften kann. Indem wir „verzeihen“ – die Verzeihung vielleicht angenommen wird – ketten wir uns selbst und den anderen in dieses Schuld und Sühne Chaos – den Urgrund im Dualismus des Menschengeschlechts – welcher die bis ins Verrückte fragmentierte Welt der Illusionen, die wir als Realität leben, ausmacht.
Was ist die Vergebung im Gegensatz zur Verzeihung?
Die Vergebung löst auf. Sie bedeutet, dass derjenige, der vergibt, verstanden hat, dass seine Vergebung – seine Verzeihung – niemals notwendig war. Denn diese Schuld, Sünde, der Fehler, entwächst dem Bild der Welt des in immer kleinere Fragmente zersplitterten Lebenschaos. Die Schuld, die Sünde hat keine Basis, kann sich lediglich an momentan scheinbar gültige Prämissen halten. Wer also erkennt, dass es in der Schöpfung keine Schuld, keine Sünde geben kann – der ist in der Lage zu vergeben. Aufzulösen.
Wie hängen Verzeihung, Vergebung, Gerechtigkeit und Urteil zusammen?
Jeder Verzeihung geht ein Urteil voraus. Die Vergebung löst Urteil, Verzeihung, Schuld und Sünde auf. Sie ist die wahre Gerechtigkeit, Urgrund der Liebe, erhaben über die Lächerlichkeiten, die sich in Knäuel von Disputen über Plus und Minus, Gut und Böse ergehen. Vergebung heißt, ohne Urteil zu erkennen. Die herkömmliche Sicht der Dinge gleicht dem nächtlichen Blick in das Firmament durch ein zusammengerolltes Stück Papier – nur ein winzig kleiner Teil des Himmels ist wahrzunehmen. Wie könnte ein Urteil über das Universum hier Bedeutung haben?
Das Urteil ist die Ursache?
Die Ursache, die Quelle, ist die Liebe. Doch das Urteil ist der Grund für die Sicht des Menschengeschlechts auf die Dinge. Der Beginn, der Anfang – die Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Der Schöpfung, der absoluten Liebe ist ein solcher Gedanke vollkommen fremd. Sie ist die Wahrheit. Das Urteil eines Egos – die Einschätzung der Sachlage mithilfe des zusammengerollten Stückes Papier – noch dazu in einer fragmentierten Welt des Chaos – nimmt sie gar nicht wahr.
Wenn ich nicht urteile, kann ich nicht entscheiden. Wie soll das denn funktionieren?
Ein Geist hat die Möglichkeit zu lernen, dass sein Urteil über das Leben – die Verknüpfung mit einem mehr als gigantischem Gewirr von Prämissen, grundlegenden Theorien – vollkommen subjektiv und voreingenommen, in höchstem Maße überheblich ist. Das ist notwendigerweise so, weil aus der Perspektive eines Körpers, einer Bakterie im unendlichen Universum – eines einzelnen, einsamen Sonnenstrahles, der verzweifelt, weil er nicht erkennt, dass er Teil der Sonne ist – beobachtet wird. Ein Urteil gefällt wird.
Ist das erkannt, wenn vielleicht auch nur im Ansatz – wird deutlich, dass alles in unserem Leben, unserer Lebensgeschichte, einen unendlich bedeutungsvollen Sinn hat, den wir aber nicht erblicken können, weil unsere Urteile, unser Annehmen der Illusionen, der Ängste, die sie produzieren, uns blind hält. Dieser von den meisten Menschen nicht mehr wahrgenommene Sinn ist die Liebe, aus der wir entstanden sind. Sie ist die ewige Schöpfung. In diesen Sinn, in die Liebe, können wir vertrauen, sie entscheidet für uns, aus puren und einzigem Wohlwollen ihren Kindern gegenüber. Diese Einsicht machte die Lässigkeit von Figuren wie Buddha oder Jesus aus.
Fazit
Wer verzeiht, manifestiert für sich und all die, welche er damit verurteilt, die Illusion des negativen, undurchschaubaren, vom Ego listig versteckten Weltenchaos, der Anhaftung. Vergebung hingegen heißt Auflösung der Schuld, der Sünde. Meint, den Bruder anzunehmen wie sich selbst. Bedeutet, nicht den Körper zu sehen, seine Attribute verteidigen zu meinen. Ruft ganz einfach auf, zu erkennen, dass im Zusammenspiel der Meinungen, Thesen, Grundlagen, die sich ständig ändern, aus unserer Perspektive kein Urteil möglich ist. Vollkommen unsinnig wäre. Wir dem Mitmenschen lediglich vergeben brauchen, dass er dies nicht erkennt.
„Ich bin nur Instrument, eine Flöte, durch die der Atem des Schöpfers weht.“