Den Tod leben
Es ist wohl die pure Gewohnheit, dass man ein ungutes, ein vielleicht beklemmendes Gefühl verspürt, setzt man sich mit der Idee des (eigenen) Todes auseinander. In aller Regel vermeiden wir diese Konfrontation tunlichst – sie steht auf der Liste der „großartigen“ Erfahrungen – ist sie schließlich der Inbegriff für das, was wir ganz verbissen „leben“. Unseren eigenen Tod nämlich. Einen Mordsrespekt haben wir vor dem Gevatter.
Süße Flucht?
Die Idee unserer Vergänglichkeit ist naiv/bestechend. Unser seltsamer Ansatz, fest und unverbrüchlich an diese qualvolle Konstellation der Dinge zu glauben, hat zum großen Teil damit zu tun, dass wir den Tod als Erlösung aus unserer derzeitigen, unbefriedigenden Situation betrachten. So zeigen wir ein durchaus offenes Ohr für die Doktrin der diversen Religionen, die uns die entsprechenden Umstände zum Lebensinhalt beschreiben.
Naivstes Verständnis
Dieses Verständnis von Leben und Tod, das, generell postuliert und verbreitet und „verstanden“ ist, zeigt sich von durchdringender Primitivität, ein vollkommen singuläre Konstruktion von offensichtlicher Scheinwahrheit – dem die Menschen – nicht ganz vorbehaltlos in unseren Tagen – unbedingten Glauben und „Vertrauen“ schenken. Eine Sicht dieser Dinge, die an jedweder Intelligenz der Menschen zweifeln lässt.
Ein Oben ohne Unten
Die vorherrschende Idee, der Glaube der Menschen, was den Tod und ebenso das Leben angeht, ist schlechtweg die, dass es ein Rechts ohne ein Links geben würde. Wir basteln uns eine Vorstellung, nach der wir auf der linken Seite „leben“, alles, was „Rechts“ ist, ist „tot“. Eine schiere Unmöglichkeit, – das „Rechte“ existiert in gleichwertiger Kraft und macht die Hälfte der Formel aus. Wir jedoch, schließen fest die Augen.
Fixe Präambel
Wir haben es hier mit einem Paradox zu tun. Jede wissenschaftliche Theorie, nicht nur die des Energieerhaltungsgesetzes, sondern auch die Ergebnisse der Quantenforschung, führen diese, unsere komplett naive, verbohrte Ansicht zu 100 Prozent ad absurdum. Wir scheren uns keinen Deut darum. Wie ist diese Dummheit zu erklären? Wie wir die Sachen auch drehen und wenden – letzten Endes wird klar, dass es die Angst ist, die uns in diesem Unsinn festhält. Unsere dualistische Urangst.
Streicholz
Es gibt eine Art und Weise, in dieses Lebensproblem, anschaulich erklärend, einzusteigen – um es letztlich auflösen zu können. Stellen sie sich eine Schachtel von Streichhölzern vor. Wir können – so ist unser Intellekt gestaltet – erkennen, dass die Box, gewisser Weise, eine Flamme beherbergt. Können wir nun sagen, diese Flamme sei nichtexistent? „Kleine Flamme, lass mich Dich fragen: Bist Du nicht existent? Wo kommst Du her?“
Keine Herkunft
„Lieber Mensch,“ antwortet die Flamme. „Ich komme nicht aus Süden und nicht aus Norden, auch nicht aus Osten oder Westen. Ich bin. Und wenn die Umstände die geeigneten sind, manifestiere ich. Doch niemals bin ich nicht. Ich bin die Erde und reagiere mit der Erde. Ich benötige den Sauerstoff der Luft, das Holz des Planeten, seine Mineralien. Um sichtbar zu werden, benötige ich Deine Hilfe, in der Form einer Bewegung.“
Keine Verortung
„Wohin gehst Du, kleines Flämmchen?“
„Lieber Mensch, ich bin. Ein Teil von mir wird zur Wolke, ein anderer vereinigt sich mit dem Humus, ich werde zu Hitze. Ich bin. Und wenn die Umstände entsprechend sind, manifestiere ich.“ An dieser Stelle pflegte der Meister der Zündholzschachtel ein Holz zu entnehmen und an der Schwefelfläche zu reiben, um es zu entzünden. Lächelnd hält er die Flamme empor, löscht sie schließlich mit einer schnellen Bewegung.
Die Flamme ist
Es kann kein Rechts geben, ohne ein Links. Die Flamme ist. Ist im Alleins. Ganz genau so verhält es sich auch mit der Flamme unseres Lebens. Unser Dasein beginnt nicht erst mit dem Datum unserer Geburt – schon neun Monate vorher befanden wir uns in der warmen Obhut der Mutter. Ebenso wenig kann der Augenblick der Zeugung als der Beginn des Daseins benannt werden, denn unendlich viele „Umstände“ sind vorher bereits involviert. Wir sind die Flamme, die auf die notwendige Konstellation trifft.
Kosmische Geschöpfe
So wird deutlich, dass wir, im aller wahrsten Sinne des Wortes, „Weltmenschen“ sind. Wir sind – ganz ohne unser Zutun – der kosmische Mensch. Eine Vergänglichkeit, in dem Sinne, dass es ein Nichts gäbe, nach einem Etwas, ist Nonsens. Der Tod bedingt das Leben und umgekehrt. Eine Wandlung geht von vonstatten, doch die Idee kann niemals verloren gehen – sie bleibt immer in der Quelle.
Wirkliches Verstehen
In der wahrhaften Verinnerlichung dieser Wahrheit liegt jedwede Erlösung. Dem Menschen in der Körperwelt aber, sind in seinem Denken unbedingte Grenzen erklärt worden, so ist er nicht in der Lage, – wiederum stehen die Worte für sich – über seine eigene Nasenspitze (seinen Körper) hinaus zu sehen. Er ist durch seine Angst, seine körperliche Form zu verlieren, die ihm die einzig mögliche erscheint, zur kompletten Kurzsichtigkeit verdammt.
Offensichtliches weiter geben
Es ist uns allen gegeben, dieses Wissen über die Wirklichkeit des Lebens, das in jedem von uns schlummert – als Teil des Kosmos – weiter zu reichen – und so die Brüdern und Schwestern zu erlösen. Es gilt, das so offensichtliche noch deutlicher zu gestalten. Zwischen dem reinen „technischen“ „Wissen“ und dem „wissend-glaubenden-Vertrauen“ klafft eine gigantische Spalte – unsere Aufgabe ist es, sie zu überbrücken, mehr – ihre Nichtexistenz zu belegen – in Gedanken, Worten, und Werken.
Das Gegenteil des Glücks leben
Das Verständnis dieses großen Zusammenhanges, (der so eigentlich gar keiner ist) stellt eine Erleichterung dar, wie sie größer niemals sein könnte – es liegt so nahe an der Oberfläche, ständig schimmert es durch unser Leben – dass es fürwahr Wunder nimmt, dass wir das genaue Gegenteil ertragen. („Leben“ wäre hier der falsche Terminus) Dieses Unverständnis, diese Kleinheit im Denken, diese Grenzen – dieses Bündel von Ängsten – welches wir „Dasein“ nennen, macht keinen Sinn. Wir wissen das, „leben“ es trotzdem.
Gedanklicher Abstand
Der Weg, der Pfad, aus dieser erzwungenen „Präsenz in Passivität in Gesellschaftsaktion“, gibt sich zuvorderst in Distanz. In gedanklich erarbeiteter Distanz. Dem Praktizieren der Meditation des ehrwürdigen Buddha, wie sie in den Herz-Sutren beschrieben ist, wie sie Meister Thich Nhat Hanh immer wieder ganz bezaubernd formuliert hat. In der Meditation sind wir in immer mehr in der Lage, in diesem unserem stillen, gedankenlosen, Raum, die Strukturen – auch die des Leids – in allen Ebenen zu erkennen.
Fazit
Durch das Wissen um das Leid, lösen wir das Leid auf. Die große Angst um die Zeit, sie wird abgelöst vom durchdringendem, verstehenden Wissen, um das unbedingte Vergehen jeder Form. Diese Erkenntnis findet außerhalb des bestehenden, lärmenden, Gedankensystems statt. Hier werden die Leid/Anhaftungsstrukturen erkannt und aufgelöst. Dieses Begreifen beinhaltet das Verstehen um den kosmischen Menschen, die Alleinheit der Dinge. Eine Wolke kann nicht sterben.
Interessant